SZ: In aller Ruhe zum Erfolg !

24.06.15, Saarbrücker Zeitung
Sebastian Klein spielt in der deutschen Gehörlosen-Nationalmannschaft!

Von Roland Schmidt
Sebastian Klein vom Handball-Oberligisten HSV Merzig-Hilbringen wirft seine Tore neuerdings auch für die Gehörlosen-Nationalmannschaft. Beim Sechs-Nationen-Cup in Dänemark war der Linksaußen mit 45 Treffern bester Torschütze des Turniers.

KleinsebKaum hat Torwart Sven Klein den Ball pariert, startet Sebastian Klein zum Tempo-Gegenstoß. Pfeilschnell stößt der 23 Jahre alte Linksaußen des Handball-Oberligisten HSV Merzig-Hilbringen in die gegnerische Spielhälfte vor, fischt sich den präzisen Pass des drei Jahre älteren Bruders aus der Luft und „netzt“ die „Pille“ eiskalt im Gäste-Gehäuse ein. Wenn kurz darauf die Merziger Thielspark-Halle bebt, die Trommeln donnern und die Fans auf der Tribüne seinen Treffer mit tosendem Applaus belohnen, hört Klein davon nicht viel. „Ich bin auf beiden Ohren schwerhörig. Hohe oder tiefe Frequenzen – da gibt es keinen Unterschied“, sagt der Torjäger, der für den Handball-Oberligisten in der abgelaufenen Saison 86 „Hörnchen“ erzielte.

Top-Torjäger in Dänemark

45 Mal in zwei Tagen schlug der bekennende Tempo-Handballer Mitte Mai für die Gehörlosen-Nationalmannschaft beim Golden-Deaf-Cup zu. Der neu gebildete Bundeskader belegte im dänischen Herning hinter Kroatien Rang zwei. Der flinke Saarländer sicherte sich beim Sechs-Nationen-Turnier die Torjäger-Krone. „Mit einem Mix aus Konter-, Linksaußen- und Rückraumtoren“, sagt Klein. Die Liebe zum Handball entdeckte der Motorrad-Fan in der Krabbelgruppe des TuS Brotdorf. „Ich war drei Jahre alt und recht früh verrückt nach dem Ball. Danach habe ich beim TuS alle Jugendmannschaften durchlaufen und fast immer auf Linksaußen gespielt. Da fühle ich mich am wohlsten“, verrät Klein. Auch kein Geheimnis: Alle HSV-Spielzüge werden per Handzeichen „angesagt“. „Und bei der Mannschafts-Auszeit lese ich die Anweisungen von Trainer Marcus Simowski von den Lippen ab“, sagt Klein, der im Hexenkessel immer cool bleibt. „Diese Ruhe während des Spiels hat auch Vorteile. Der Lärm beeinflusst mich nicht.“

Egal ob für Deutschland oder für Merzig – auf dem Feld steht der Elektroniker für Betriebstechnik immer unter Strom. In jüngeren Jahren nahm der athletische Flügelstürmer auch gerne mal den Tennis-Schläger in die Hand. Mit Volldampf ging es nach dem Aufschlag ans Netz. „Serve-and-Volley war mein Ding“, verrät er. Aber wen wundert das? Tennis-Profi Roger Federer ist nach wie vor sein sportliches Idol, der ehemalige dänische Linksaußen Lars Christiansen das Handball-Vorbild.

Seine Nominierung für die Gehörlosen-Nationalmannschaft verdankt Klein neben seinem Talent einem Artikel in der Saarbrücker Zeitung. „Bundestrainer Wolfgang Koch hat da gelesen, dass ich schwerhörig bin“, erzählt Klein. Kurz darauf kam vom Deutschen Gehörlosen-Sportverband (DGS) eine E-Mail. Es folgten zwei Lehrgänge in Hessen und Berlin. „Da habe ich richtig Gas gegeben und seitdem gehöre ich fest zum Kader.“ Über seine Stammplätze in der DGS-Auswahl und beim HSV braucht sich Klein nach den abgelieferten Topleistungen keine Gedanken zu machen. „Ich muss aber gestehen, dass ich wenig Gebärdensprache kann und mich hier verbessern will. Die Verständigung in der Nationalmannschaft funktioniert auch auf diesem Weg“, sagt der Mann, der in beiden Mannschaften die Nummer 17 trägt.

Kleins Motto: einer für alle, alle für einen. Sein nächstes großes Ziel mit dem Bundeskader: eine Medaille bei der Europameisterschaft 2016 in Berlin. „Und 2017 würde ich gerne in der Türkei bei den Deaflympics auflaufen, die mit Olympischen Spielen vergleichbar sind. Das ist für jeden Sportler ein Traum.“ Die Ziele mit dem Verein sind ebenfalls klar: Mit dem HSV möchte der Pizza-Gourmet in der kommenden Oberliga-Saison wieder frühzeitig den Klassenverbleib sichern und viele Tore werfen. Für präzise Pässe wird Sven Klein sorgen, mit dem sich Sebastian auch ohne Worte versteht. „Das Zusammenspiel mit meinem Bruder klappt einfach. So etwas kannst du nicht trainieren.“